During August I was interviewed by Markus Schöning on behalf of Vorwaerts, the SPD’s official newspaper. Here is what I had to say (in German only).
Interview zur Eurokrise mit Yanis Varoufakis
Europa als Dampfmaschine
Markus Schöning • 09. September 2011
Markus Schöning: Angesichts des verstärkten Engagements der Europäischen Zentralbank und der Rufe nach Einführung von Eurobonds wächst in Deutschland die Angst eine Transferunion zu werden.
Yanis Varoufakis: Deutschland erzielt gegenwärtig immer noch Gewinne auf der Basis von zwei Nachfragemärkten: dem asiatischen Markt und der Eurozone. Ein Niedergang des Euro würde schlagartig zum Verlust von beidem führen, was für Deutschland katastrophal wäre. Schon im deutschen Interesse muss der Euro daher geschützt und erhalten werden. Um nicht niederzugehen, braucht es allerdings einer neuen Konzeption der Euro-Architektur. Eine Variante der Eurobonds, welche nicht auf staatlichen Garantien beruht, wäre Teil dieser Neukonzeption. Gleichzeitig muss jedoch eine sinnvolle Überschussverteilung stattfinden.
Wie könnte eine solche Überschussverteilung aussehen?
Gegenwärtig schickt der reiche Norden der europäischen Peripherie Geld, das direkt Richtung Banken weiterwandert, die es dann bei sich horten – das Schlimmste aus zwei Welten. Aber stellen Sie sich vor, dass die deutschen Überschüsse in wettbewerbsorientierte und profitable gemeinsame Projekte investiert würden: z.B. in einen TGV-Zug, der von Patras startet und die griechischen Häfen mit Österreich verbindet. Daran könnten sich deutsche und französische Unternehmen beteiligen. Sie könnten durch diese Investitionen Gewinne einfahren, während sich gleichzeitig die südeuropäische Infrastruktur entwickelt. Durch ein solches Verteilungssystem produktiver Investitionen können wir einen gesamteuropäischen Aufschwung erreichen und Deutschland könnte seine Märkte und Gewinne beibehalten.
Neben der Verschuldung der öffentlichen Haushalte kranken die Länder der europäischen Peripherie auch an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Wo könnte man hier anpacken?
Ich habe erst kürzlich mit Vertretern der European Investment Bank (EIB) gesprochen. Diese sagten mir, dass sie mindestens 10 große Projekte für Griechenland in der Schublade haben, welche sie als gewinnbringend ansehen. Dass diese Projekte nicht vorankommen liegt daran, dass 50 Prozent ihrer Finanzierung von den betroffenen europäischen Mitgliedstaaten kommen müsste, in diesem Fall also von Griechenland. Griechenland ist jedoch praktisch insolvent. Wenn die EIB die Möglichkeit hätte, die ausstehenden 50 Prozent über Eurobonds finanziert zu bekommen, würden diese Projekte laufen.
Um was für Projekte handelt es sich konkret?
Westeuropa hat sehr gute Bahnsysteme, Osteuropa und der Balkan hingegen nicht. Ein modernes Bahnsystem für die Region wäre eine zukunftsträchtige Investition. Dieses Projekt könnte in Kooperation mit chinesischen Firmen wie COSCO laufen, welche heute bereits in Piräus investiert, damit Griechenland eine Drehscheibe wird, um Europa mit Asien und Afrika zu verbinden. Darauf aufbauend könnte es weitere Investitionsmöglichkeiten geben, von denen deutsche Unternehmen profitieren würden.
Zudem hat Griechenland viele Möglichkeiten für Solar- und Windenergie. Für die deutsche Ökoenergie, die sehr fortschrittlich ist, bietet sich auf diesem Feld viel Raum für Investitionen, wovon sowohl Deutschland als auch Griechenland profitieren könnten. Und es gibt drittens in Griechenland große Möglichkeiten für eine Reform der bisherigen gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Da wären zum Beispiel biologische Landwirtschaftsprodukte, für die es in Deutschland einen großen Markt gibt. Griechische Firmen wollen in diese Richtung investieren, ihnen fehlt es zurzeit jedoch an Kapital und Vernetzungen.
Dies sind ein paar Beispiele für einen Marschall-Plan oder New Deal. Die ganze Eurozone könnte die Dampfmaschine sein, welche ganz Europa aus der Krise heraus fährt.
Die Finanzierung der Projekte würde also in Koordination zwischen der EZB und der EIB stattfinden?
Genau. Durch die von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgestellten Eurobonds könnte ein Kapitaldepot geschaffen werden, welches gewinnorientierte Investitionen von der europäischen Peripherie bis ins Zentrum Europas tätigen könnte. Wenn die EIB profitable Projektpläne hat und 50 Prozent der Kosten für diese Projekte übernimmt, gibt es keinen Grund, warum die EZB nicht durch den Verkauf von Eurobonds im Namen der involvierten EU-Länder die restlichen 50 Prozent übernimmt und diese den betroffenen Ländern anrechnet.
Sobald das Projekt fertig ist, sind die EU-Länder vertraglich verpflichtet, aus ihrem Anteil an den Gewinnen an erster Stelle ihre Schulden bei der EZB zu begleichen, welche wiederum ihre Eurobond-Gläubiger bezahlen kann. Auf diese Weise wird die EIB nicht länger auf Finanzierung durch einzelne Nationalstaaten beschränkt, während die Eurobonds für die EZB aufkommensneutral bleiben. Die Investitionen kommen voran und alle profitieren.
Viele befürchten im Falle von Eurobonds eine Erhöhung der Zins- und Kostenlasten für die Garant-Länder, wie etwa Deutschland oder Österreich. Sie erwähnten Eurobonds, die gerade nicht auf staatlichen Garantien beruhen würden. Wie könnten diese aussehen?
Im Falle von Eurobonds, welche auf Garantien der reichen EU-Länder beruhen, wäre diese Sorge berechtigt. Es gibt jedoch auch einen anderen Weg für Eurobonds: Für alle EU-Länder wird eine Umschuldung für den Teil der Gesamtschulden organisiert, welcher die Maastricht-Kriterien nicht überschreitet, ergo: 60 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die EZB bedient diese Schulden bei den Gläubigern der EU-Staaten, indem sie selbstständig Eurobonds ausgibt und auf den Märkten verkauft, für welche sie allein bürgt – ohne Garantien von Deutschland oder anderen AAA-Staaten.
Die betreffenden EU-Länder werden diese Schulden bei der EZB selbstverständlich abbezahlen, allerdings bei niedrigerem Zinsniveau und längeren Laufzeiten, welche der Laufzeit der neu ausgegeben Eurobonds der EZB entsprechen. Da dies für die EZB absolut aufkommensneutral wäre und angesichts des hervorragenden internationalen Rufes der EZB, wären die Zinsraten für diese Sorte Eurobonds nicht hoch, sie lägen bei maximal 2,5 Prozent. Und da sie nicht auf Garantien von Ländern wie Deutschland oder Österreich beruhen würden, hätten sie keine Auswirkungen auf deren Zinsniveau. Kurz gesagt, vermittelt die EZB zwischen der Eurozone und den internationalen Märkten, so dass eine Umschuldung ohne Haircuts und ohne ungeliebte Fiskalunion stattfinden kann.
Yanis Varoufakis leitet den Fachbereich Politische Ökonomie an der Universität von Athen. Zusammen mit dem Ökonomen Stuart Holland hat er ein Thesenpapier zur Bekämpfung der Finanzkrise erarbeitet, das er unter dem Namen ” Modest Proposal ” auf seinem Blog vorstellt. Die Kernpunkte des Modest Proposal wurden von mehreren ehemaligen europäischen Regierungschefs, darunter Guy Verhofstadt und Giulianio Amato, in einer gemeinsamen Erklärung unterstützt. Mehr zum Autor unterhttp://yanisvaroufakis.eu/euro-crisis/